Talk im Clubhouse-Valley: Sustainability Startups – Was ist Hype & Wo ist das Geschäft?
In Deutschland entwickelt sich seit einigen Jahren eine Startup-Szene rund um Nachhaltigkeit und Ökologie. Doch wachsen hier wirklich wirtschaftlich tragfähige Unternehmen heran – oder ist das alles nur ein kurzfristiger Trend? Und was bedeuten diese Entwicklungen für die etablierten Mittelständler und Konzerne? Im ersten Clubhouse-Talk der Unternehmensberatung Brook Valley haben Expertinnen und Experten mit unterschiedlichen Perspektiven auf diese Fragestellung geschaut: als Gründer, als Investoren, als Berater.
Teilnehmer:
Melina Brandstetter, Founder & Managing Partner, Brook Valley
Christian Dietrich, Angel Investor & Sustainability Expert, Remyx
Felix Finger, Founder & Managing Partner, Brook Valley
Christian Knott, Partner, Capnamic Ventures
Patrick Sturmheit, Co-Founder & Managing Director, equio
Die Fragen stellte Christian Pfeiffer, Independent Strategic Advisor
Nachhaltigkeit, Ökologie, ESG – das Thema ist aktuell in der Politik so präsent wie nie zuvor. Christian D., du beobachtest den Markt dazu seit vielen Jahren. Gib uns doch mal einen Überblick, was sich in der Hinsicht in der Startup-Szene in Deutschland gerade tut.
Christian Dietrich, REMYX: Es ist zu beobachten, dass Nachhaltigkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist – und damit mitten in der Wirtschaft. Vor allem junge, kreative Leute gehen das Thema jetzt an und gründen Startups. Aber auch bei Konzernen ist ein Umdenken zu erkennen: raus aus der Risiko-Ecke, hin zur Chancen-Verwertung. In der Startup-Szene sehe ich aktuell viele Gründungen, die sich mit CO2-Messung und -Kompensation beschäftigen. Aber auch digitale Marktplätze werden aufgebaut, zum Beispiel um Plastik-Recycling für Unternehmen sowie für Endkunden zu vereinfachen. Im Bereich der Agrarwirtschaft soll ‚Precision Farming‘ dabei helfen, effizienter Erzeugnisse an- und abzubauen. Und die ‚Sharing Economy‘ für Autos, elektrische Kleingeräte aber auch Kleidung boomt wie nie. Wir sehen eine Zeit, in der viele Business-Modelle zum ersten Mal fliegen und neue Trends sich verstetigen werden.
Thema CO2-Kompensation: Patrick, du bist einer derjenigen, der dazu gerade gegründet hat. Was entwickelt ihr, das diese Welt noch nicht hat?
Patrick Sturmheit, equio: Unsere Idee ist so einfach wie komplex zugleich. Es gibt weltweit unzählig viele Kompensations-Projekte, zum Beispiel zur Aufforstung von Wäldern, dem Aufbau von Solarparks oder der Einführung von modernen Öfen, damit Holz in Entwicklungsländern nicht mehr offen verbrannt wird. Die Landschaft von Kompensations-Projekten ist weit, gleichzeitig kleinteilig und für Dritte kaum zu durchdringen. So kann es Unternehmen aber auch Endverbrauchern passieren, bei der Kompensation auf das falsche Pferd zu setzen – weil sich nachher herausstellt, dass das Projekt nicht fliegt. Unser Anspruch ist es, Transparenz in diesen Dschungel zu bringen, Projekte weltweit zu identifizieren, zu auditieren und Unternehmen auf Basis einer Plattform zu ermöglichen, ihre Kompensationen darüber zu steuern.
Sinn und Zweck klingen einleuchtend. Habt ihr euch denn auch überlegt, wie man damit Geld verdienen kann?
Patrick Sturmheit, equio: Das ist ein Projekt, das definitiv einen tieferen Sinn hat – aber ganz klar kommerziell getrieben ist. Unternehmen kompensieren aktuell überwiegend über CO2-Zertifikate, die über Broker mit hohen Preisschwankungen gehandelt werden. Oder sie investieren in Projekte, in denen lokale Banken Gebühren nehmen. Unsere Idee: Wir umgehen Broker und Banken, ermöglichen direkte Investitionen und eine Rückzahlung über Zinsen in CO2-Zertifikaten. Eine Gebühr verbleibt bei uns, um diesen Service mit hoher Qualität und absolut unabhängig anbieten zu können.
Mit eurer Firma Capnamic investiert ihr in Startups, Christian K. Wäre equio ein Investment für euch?
Christian Knott, CAPNAMIC: Also grundsätzlich hört sich Patricks Ansatz sehr spannend an. Es passt nicht ganz in unser Portfolio, weil wir nur in Unternehmen investieren, die ausschließlich ein digitales Geschäftsmodell haben. Auch wir beobachten den Sustainability-Markt sehr intensiv. Und was wir bisher sehen sind viele gute Leute, die Gutes tun wollen und gleichzeitig Geschäftsmodelle neu begründen. Welche davon aber wirklich erfolgreich sein werden, das ist noch nicht absehbar.
Patrick Sturmheit, equio: Das kann ich nachvollziehen, wir akquirieren gerade an anderer Stelle Risiko-Kapital. Unsere Story kann man gut erzählen, weil sie unter anderem den CFO begeistert – der kann künftig besser das Geld seines Unternehmens anlegen. Aber auch den Nachhaltigkeits-Chef, der verdeutlichen kann, welchen Einfluss die Nachhaltigkeitsinvestitionen auf die Gesellschaft haben. Dass es nicht nur um Kompensation geht, sondern um aktives Gestalten einer besseren Welt. Es ist noch ein weiter Weg, aber vom grundsätzlichen Modell her mache ich mir aus heutiger Perspektive wenig Sorgen.
Christian Knott, CAPNAMIC: Das ist ein totaler wichtiger Punkt. ‚Impact‘ auf die Gesellschaft sollte nie nur ein Selbstzweck in der Wirtschaft sein. Es muss sich auch rechnen, damit es eine Chance hat, sich durchzusetzen.
Aus deiner Perspektive als ehemaliger Geschäftsführender Gesellschafter eines mittelständischen Unternehmens, jetzt Berater und selbst Investor: Felix, gelingt es heute ausreichend, diese beiden Elemente zusammen zu bringen?
Felix Finger, BROOK VALLEY: Natürlich gelingt es noch nicht immer. Aber die Notwendigkeit sehen nicht nur Startups, sondern auch ganz massiv die alteingesessenen Unternehmen und Konzerne. Ich würde hier gern den Blickwinkel weiten: Um weiterhin eine Relevanz zu haben, arbeiten Unternehmen heute ganz intensiv daran, ihre Rolle in und ihren Sinn und Zweck für die Gesellschaft zu definieren. Vielfach wird vom ‚Purpose‘ der Unternehmen gesprochen, hinter dem sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kundinnen und Kunden und alle weiteren Stakeholder vereinen können. Und ein solcher Purpose kann heute nicht mehr ausschließlich wirtschaftlich motiviert sein, sondern muss den Nutzen für die Gesellschaft darüber hinaus glaubhaft abbilden. Gerade bei Mittelständlern beobachte ich durchaus, dass sie sich mit dieser neuen Idee nicht immer leichttun. Denn ein neuer Purpose bringt doch eindeutige Veränderungen in Strukturen und Prozessen mit sich. Wenn man aber den Anschluss nicht mittelfristig verlieren will, muss sich heute jedes Unternehmen dieser Herausforderung stellen. Startups haben es da einfacher, die starten einfach ganz neu durch.
Christian Dietrich, REMYX: Das kann ich nur unterstreichen. Im Bereich Nachhaltigkeit sind die Unternehmen getrieben durch externe Faktoren: regulatorische Vorgaben des Gesetzgebers, sich verändernde Kundenbedürfnisse und eine grundsätzlichen Veränderung des Wertesystems unserer Gesellschaft. Darauf können sie nicht einfach nur mit einer anderen Preis- oder Produktpolitik reagieren, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Sie müssen ihre Rolle deutlich genauer und tiefer hinterfragen, ihren Sinn und Zweck neu definieren. Das ist auch der einzige Hebel, wie sie künftig die Talente anziehen und binden können, die sie für weiteres Prosperieren brauchen.
Und damit schauen wir in eine weitere Facette von Nachhaltigkeit: Melina, du hilfst Unternehmen in der Neuausrichtung ihrer Organisation, dem Finden und Binden von Talenten. Suchen Unternehmen jetzt nur noch Nachhaltigkeits-Experten?
Melina Brandstetter, BROOK VALLEY: Ich würde das zunächst einmal andersherum sehen: Immer mehr Kandidatinnen und Kandidaten suchen nachhaltige Unternehmen als Arbeitgeber. Diese Anforderung aus dem Markt ist heute eindeutig. Viele junge aber auch ältere Menschen sind heute intrinsisch motiviert, wollen nicht nur Geld verdienen, sondern die Welt ein Stück besser machen. Unternehmen, die ausschließlich auf Profite schauen, fallen da als mögliche Arbeitgeber oft raus.
Es stimmt also: Gehalt ist nicht mehr so wichtig, es geht um das große Ganze?
Melina Brandstetter, BROOK VALLEY: Das würde ich so nicht sagen. Gehalt ist nach wie vor sogar sehr wichtig. Aber es geht darum, zusätzlich an etwas Gutem zu arbeiten. Etwas, das sich richtig anfühlt. Auch Kandidatinnen und Kandidaten sehen heute in einem Purpose immer beide Ebenen: den ‚Impact‘ auf die Gesellschaft und das Wirtschaftliche für das eigene Unternehmen. Wer mittelfristig noch Top-Talente bekommen will, der sollte jetzt rasch diese Gedanken weiterverfolgen. Sonst werden künftig ausschließlich Patrick, Christian und die Startups diese Talente einbinden – Mittelstand und Konzernen werden sie verloren gehen.
Um noch einmal nach vorn zu schauen: Welche großen Trends seht ihr langfristig am Horizont, wenn ihr an die Startup-Szene rund um Sustainability denkt?
Patrick Sturmheit, equio: Ganz klar: Technologische Innovation, die große Veränderungen ermöglicht. Und die global einsatzbar ist, nicht nur regional. Das Rennen mit der Erderwärmung lässt sich nur global und gemeinsam gewinnen. Ich denke da an eine Technologie wie ‚Direct Air Capture‘ in der Schweiz, in der große Anlagen Luft von CO2 reinigen. Um auf den wirtschaftlichen Aspekt zu kommen: Wann man damit wie viel Geld verdienen kann, das steht noch in den Sternen. Es ist auch nicht klar, ob diejenigen, die jetzt schon am Markt sind, sich wirtschaftlich durchsetzen werden. Dafür werden sich immer wieder Investoren finden müssen, die auch bereit dazu sind, einen Totalverlust hinzunehmen.
Christian Dietrich, REMYX: Dabei stimme ich dir total zu, Patrick. Technologische Entwicklungen, nicht nur digital sondern auch absolut physisch, sind das ‚Next Big Thing‘. Neben einer solch langfristigen Perspektive wie von dir beschrieben sehe ich vor allem die Themen Energiespeicher, Wasserstoff und Meerwasserentsalzung im kurz- bis mittelfristigen Fokus. In all diesen Bereichen haben sich bereits Industrien etabliert, sind bereits Milliarden ausgegeben. Die Chancen, den ‚Break Even‘ zu schaffen, stehen darum deutlich besser als bei noch jüngeren Technologien. Wir werden als Menschheit darauf angewiesen sein, in Technologiesprüngen erfolgreich zu sein. Der Fairness halber muss man sagen, dass die deutsche Startup-Szene hier noch kein Vorreiter ist. Aber was nicht ist, kann noch werden. Wir brauchen noch mehr Mut: von Gründerinnen und Gründern, aber auch von Wagniskapitalgebern. Die klugen Köpfe haben wir.